Thought and Religions
Die Profilinitiative „Thought and Religions“ ist ein in den letzten Jahren etablierter Forschungsbereich, der sich mit europäischen wie auch außereuropäischen Weltanschauungen (Religionen, Kulturen, Philosophien, Denksystemen, Sprachen) beschäftigt und Forscherinnen und Forschern eine faszinierende Welt bietet. Zum Bereich gehören unter anderem die Disziplinen Buddhismuskunde, Islamwissenschaft und Jüdische Philosophie und Religion. Die zahlreichen kleineren und größeren Forschungsprojekte der fakultären Forschungsschwerpunkte beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit jüdischen Geistesströmungen im christlichen und islamischen Kulturraum (insbesondere dem Skeptizismus), Medizin und Bioethik im Islam, der moralischen Literatur im Judentum sowie der Herausbildung und Fortentwicklung der philosophischen und wissenschaftlichen Terminologie des Hebräischen in ihren verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten.
Zur Initiative gehören neben kleineren Projekten die folgenden Großprojekte:
DFG – Kolleg-Forschungsgruppe "Maimonides Centre for Advanced Studies - Jewish Scepticism"
Projektleitung: Prof. Dr. Prof. h.c. Giuseppe Veltri (Direktor, Fachbereich Religionen, Institut für Jüdische Philosophie und Religion), Prof. Dr. Stephan Schmid (Co-Direktor, Fachbereich Philosophie)
Laufzeit: 2015–2025
Die Kolleg-Forschungsgruppe "Jüdischer Skeptizismus" ("Maimonides Centre for Advanced Studies – Jewish Scepticism") an der Universität Hamburg ist auf acht Jahre angelegt und wird im ersten Bewilligungszeitraum (2015-2019) mit fast 4,2 Millionen Euro gefördert. Mit dem Namen "Maimonides Centre for Advanced Studies" wird der bedeutendste jüdische Gelehrte des Mittelalters gewürdigt, Moshe ben Maimon (1138-1204), der als Rabbi, Arzt, Philosoph und halakhischer (religions-gesetzlicher) Autor wirkte. Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg besitzt allein drei Handschriften des religionsphilosophischen Hauptwerkes von Maimonides, dem More Nevukhim ("Führer der Verwirrten").
Das "Maimonides Centre" widmet sich dem Thema des jüdischen Skeptizismus. Skeptizismus ist eine philosophische Richtung, vor allem in der Erkenntnistheorie, die bereits seit der Antike kontrovers diskutiert wird. Er basiert auf dem Zweifel an der Möglichkeit des Wissens und stellt alles prinzipiell und immer wieder in Frage. Obwohl das Hinterfragen aller Aspekte des Lebens ein grundlegendes Merkmal des Judentums ist und Skepsis das erkenntnistheoretische Verstehen der Realität in der jüdischen Philosophie wesentlich bestimmt, wurde dieser Blickpunkt in der bisherigen Forschung sowohl zum Skeptizismus als auch zur jüdischen Philosophie überraschenderweise kaum berücksichtigt.
Im Rahmen des "Maimonides Centre" wird Skeptizismus in seiner allgemeinen Bedeutung als kritische Untersuchung von weltlichen wie geistlichen Überzeugungen und Erkenntnissen sowie als Ausdruck von Zweifel gegenüber jeder Art von Autorität verstanden. Das beinhaltet zum einen die Frage nach dem Wahrheitskriterium, also nach welchen Maßstäben etwas überhaupt als "wahr" gelten kann, und zum anderen die Haltung, ein endgültiges Urteil über einen Sachverhalt gezielt aufzuschieben, um Dogmatismus – also das unkritische Festhalten an bestehenden Lehr- und Glaubenssätzen – zu vermeiden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen das Thema von zwei Seiten beleuchten: Zum einen wollen sie Skeptizismus als schulphilosophische Strömung innerhalb der jüdischen Tradition untersuchen, zum anderen interessiert sie die Skepsis als generelle philosophische Denkhaltung oder literarische bzw. politische Strategie, deren diskursive und kulturelle Ausprägungen analysiert werden sollen.
Ein Schwerpunkt am "Maimonides Centre" widmet sich der Erforschung der Frühen Neuzeit (ca. 1500 bis 1800) als einer Epoche der Wiederentdeckung und Neubewertung antiker Skepsis. Darüber hinaus werden aber auch antike und mittelalterliche Themen, wie z.B. Skeptiker in der rabbinischen Literatur oder die frühen Anti-Kabbalisten, behandelt. Die Forschungsergebnisse werden vor allem in eigenen Publikationsreihen, wie dem Yearbook und Monographien, veröffentlicht, die teilweise auch im Open Access zur Verfügung stehen.
DFG – Kolleg-Forschungsgruppe "Romanization and Islamication in Late Antiquity – Transcultural Processes on the Iberian Peninsula and in North Africa"
Projektleitung: Prof. Dr. Sabine Panzram, Prof. Dr. Stephan Heidemann
(Fachbereich Geschichte, Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften)
Laufzeit: 2019–2025
Die Kolleg-Forschungsgruppe „Romanization and Islamication in Late Antiquity – Transcultural Processes on the Iberian Peninsula and in North Africa“ will die Prozesse der Romanisierung und Islamisierung im westlichen Mittelmeerraum untersuchen: auf der Iberischen Halbinsel und in Nordafrika. Beide Regionen eignen sich hervorragend für die vergleichende Imperienforschung, da sie strukturell gesehen für das Imperium Romanum bzw. das Islamische Reich eine vergleichbare wirtschaftliche Bedeutung hatten, sowie eine Reihe von weiteren Gemeinsamkeiten aufweisen.
Die Ausgangssituation bilden jeweils zwei nur oberflächlich von der hellenistischen Zivilisation beeinflusste Kulturen – die kelt(iberische) und die berberische. Das römische und das islamische Reich konfrontierte sie mit einer östlichen imperialen Kultur und einer nahöstlichen Erlösungsreligion als Staatsreligion, dem Christentum und dem Islam. Diese historische Situation im ersten Jahrtausend erlaubt es, neue Modelle und Theorien für die Bereiche „Transcultural Studies“ und „Comparative Empire Studies“ zu erarbeiten.
DFG – Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Emancipatio Rabbinica: Die Stellung der rabbinischen Literatur in den Debatten über den Status der Juden in der Moderne (1600–1900) im italienischen, deutschen und osteuropäischen Kontext"
Projektleitung: Prof. Dr. Ze'ev Strauss
(Fachbereich Religionen, Institut für Judaistik)
Laufzeit: 2023–2029
Mit dem Projekt „Emancipatio Rabbinica: Die Stellung der rabbinischen Literatur in den Debatten über den Status der Juden in der Moderne (1600–1900) im italienischen, deutschen und osteuropäischen Kontext“ soll erstmalig ein umfassendes Corpus von Texten aus dem italienischen, deutschen und osteuropäischen Kulturraum vom Beginn des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zusammengetragen und zusammenhängend untersucht werden.
Das Projekt wird sich mit Fragen zur spezifischen Prägung zeitgenössischer Diskurse über Religion, zu Rahmenbedingungen des jüdisch-christlichen Verhältnisses sowie zur christlichen Wahrnehmung von Juden und Judentum befassen. Insbesondere werden Angriffs- bzw. Verteidigungsstrategien erforscht, die den Talmud als rabbinische Traditionsschrift mit dem Judentum gleichsetzen. Das Forschungsprojekt wird somit theologische und politische Narrative herausarbeiten, die tief in der Emanzipationsgeschichte des europäischen Judentums und in das zeitgenössische Verständnis Europas selbst eingebettet sind.
Der Talmud stellt eine der wesentlichen Quellen der jüdischen Traditionsliteratur dar. Er enthält die Kommentare und Erklärungen der rabbinischen Gelehrten des 3. bis 5. Jahrhunderts zur jüdischen Gesetzgebung, deren Grundlagen zuvor von den Gelehrtengenerationen des 1. und 2. Jahrhunderts etabliert wurden. „Unabhängig davon, ob sich jemand für die bürgerliche und soziale Gleichstellung von Juden einsetzte oder diese bekämpfen wollte, stellte der Talmud die maßgebliche Quelle dar, auf die man sich berief“, sagt Juniorprofessor Dr. Ze’ev Strauss. Entweder sei der Talmud als Quelle der ethischen und kulturellen Stärke des jüdischen Volkes aufgefasst oder als Ursache für das über sie kommende Unheil verunglimpft worden. „Trotz der weitreichenden transkulturellen und länderübergreifenden Implikationen ist die herausragende Bedeutung der rabbinischen Traditionsliteratur für die Debatten, mit denen wir uns in unserem Projekt beschäftigen, bislang noch nicht in umfassender Weise erforscht worden“, so Strauss.
Drei Ziele stehen im Fokus des Projektes: „Zum einen sollen mithilfe jüdischer wie christlicher Beurteilungen des rabbinischen Judentums die Auseinandersetzungen um die Ausstattung der Juden mit bürgerlichen und politischen Rechten in der europäischen Neuzeit neu konzeptualisiert werden“, erläutert Strauss. Zum anderen wollen die Nachwuchsforschenden aber auch neue Aspekte der Entwicklung des modernen Antisemitismus herausarbeiten, etwa die Beförderung des Antisemitismus durch das sich rasant entwickelnde Phänomen der über Druckerzeugnisse hergestellten breiten Öffentlichkeit. „Und schließlich“, so Strauss, „wollen wir die Erfahrungen religiöser und ethnischer Minderheiten und ihre Integration im neuzeitlichen Europa besser nachvollziehbar machen.“
DFG – Langfristvorhaben "Vormoderne philosophische und wissenschaftliche hebräische Terminologie im Kontext. Ein Online-Thesaurus (PESHAT IN CONTEXT)"
Projektleitung: Prof. Dr. Giuseppe Veltri
(Fachbereich Religionen, Institut für Jüdische Philosophie und Religion), Dr. Reimund Leicht (The Hebrew University of Jerusalem)
Laufzeit: 2014–2026
In dem von der DFG von 2014 bis 2026 geförderten Langzeitprojekt werden die historische Herausbildung und Fortentwicklung der philosophischen und wissenschaftlichen Terminologie des Hebräischen in ihren verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten in der Zeit vom 10. bis zum 16. Jahrhundert untersucht. Dieser Ansatz steht in der Nachfolge der Pionierleistung von Jacob Klatzkin und dessen "Thesaurus philosophicus linguae hebraicae et veteris et recentioris" (5 Bde., Berlin 1928-1933). Der Name des Projektes PESHAT steht für "(Premodern) Philosophic and Scientific Hebrew Terminology" und ist zugleich der hebräische Terminus für den einfachen, den Literalsinn einer Aussage. Er gibt damit das Kernanliegen des Projek-tes wieder: einen lexikographischen Zugang zur Terminologie der hebräischen Wissenschaftssprache des Mittelalters zu eröffnen.
Neben der wissenschaftlichen Gesamtleitung durch Prof. Dr. Prof. h.c. Giuseppe Veltri (Hamburg) und Dr. Reimund Leicht (Jerusalem) ist Dr. Resianne Smidt van Gelder-Fontaine (Amsterdam) als wissenschaftliche Beraterin verantwortlich. Zum Mitarbeiterstab gehören drei wissenschaftliche Angestellte an der Universität Hamburg sowie ein weiterer an der Hebräischen Universität in Jerusalem und eine wissenschaftliche Hilfskraft. In der aktuellen Bearbeitungsphase stehen die hebräischen Übersetzungen judäo-arabischer philosophischer Werke im Fokus, die von der Familie der Tibboniden in der Provence im 12. und 13. Jahrhundert angefertigt wurden, darunter auch das Opus magnum des jüdischen Religionsphilosophen Moses Maimonides (gest. 1204), Moreh Nevukhim ("Führer der Unschlüssigen"). In einer späteren Phase werden auch die von der Übersetzungsbewegung vom Hebräischen ins Lateinische bearbeiteten Werke bis in die Zeit der Renaissance Beachtung finden, die die Bedeutung des Hebräischen als Transmissionssprache im Prozess des Wissenstransfers vom arabisch-islamischen in den lateinisch-christlichen Bereich dokumentieren und den Beitrag jüdischer Autoren zur europäischen Philosophie- und Wissenschaftstradition verdeutlichen.
Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit werden zukünftig sukzessive in eine komplexe, eigens für das Projekt konzipierte Datenbank eingebettet. Dieser Online-Thesaurus ermöglicht die gezielte Suche nach hebräischen Lemmata, gibt Auskunft zu deren wissenschaftlicher Definition und äquivalenten Termini in den Projektsprachen (neben (Judäo-)Arabisch und Latein, auch Griechisch, Englisch, Französisch und Deutsch), und gibt sie in ihren Kontexten der bearbeiteten Werke in Form von Zitaten wieder. Bei der Suche kann zudem nach bestimmten Autoren, Werken und geographischen Einteilungen und Zeiträumen gefiltert werden. Eine weltweite Vernetzung mit Forschern, Projekten und Institutionen verwandter Forschungsfelder (Philosophie, Klassische Studien, Judaistik, Arabistik/ Islamwissenschaft) wird dadurch ermöglicht.
Am Institut für Jüdische Philosophie und Religion werden in jedem Projektzeitraum Konferenzen zum aktuellen Forschungsschwerpunkt abgehalten. Eine vierteilige Handbuchreihe unter dem Titel "Officina philosophica Hebraica" (OphH) ist zur Veröffentlichung geplant.