Manuscript Cultures
Die Erfindung der Schrift und des Schreibens gehört zu den folgenschwersten Neuerungen der Menschheitsgeschichte. Schriftlichkeit war die längste Zeit Handschriftlichkeit, und selbst die vergleichsweise rezente Verbreitung des Typendrucks hat keinesfalls, wie manchmal noch behauptet wird, einen radikalen Bruch herbeigeführt. Das westeuropäische Manuskript spielte nicht nur bis weit ins 18. Jahrhunderte eine wichtige Rolle, sondern ist dem neuen Medium im Sinne des Wortes eingeschrieben – noch heute steht das gedruckte Buch dem mittelalterlichen Manuskript näher, als die gängige These vom „Medienwechsel“ suggeriert. In anderen Kulturen hat es noch länger gedauert, bis der Typendruck sich wenigstens in den städtischen Zentren durchsetzte: In China geschah dies beispielsweise erst im frühen 20. Jahrhundert, wobei der noch zum Leitmedium Manuskript gehörende Blockdruck (seit dem 7. Jahrhundert als Holzdruck, seit dem 19. Jahrhundert auch als Steindruck) erfolgreich konkurrierte, obwohl der Typendruck seit dem 11. Jahrhundert bekannt war. Von hierher gesehen, ist es durchaus fraglich, ob die quasi teleologische Abfolge einzelner Medien bzw. Leitmedien, wie sie seit dem Erscheinen der „Gutenberg-Galaxie“ immer noch in der aktuellen Diskussion im Gefolge des jüngsten Medienwechsels zur elektronischen Textverarbeitung und zum Internet behauptet wird, nicht in Wahrheit eine durchaus kontingente, regionale Perspektive darstellt.
Die Manuskriptkulturen Asiens und Afrikas sind bei uns kaum bekannt und werden darum auch nur ausnahmsweise vergleichend oder typologisch berücksichtigt. Sie sind aber auch in ihren eigenen Regionen im Zuge von Modernisierungsprozessen oft in Vergessenheit geraten und nicht selten im materiellen Bestand gefährdet. Rückbesinnung auf eigene Traditionen führt inzwischen mancherorts zu neuer Wertschätzung oder gar Wiederbelebung von Manuskriptkulturen.
Wer darum das Medium Manuskript in anthropologischer oder universaler Hinsicht thematisieren will, kommt nicht umhin, die reiche empirische Vielfalt von Manuskriptkulturen in den Blick zu nehmen, wobei die gewaltige Menge des Materials (vorsichtige Schätzungen gehen von mehr als zehn Millionen erhaltenen Manuskripten weltweit für alle Manuskriptkulturen aus) eigene methodische Zugänge erfordert.
Unter „Manuskriptkultur“ ist zu verstehen der soziale und kulturelle Kontext, in dem Manuskripte produziert, benutzt und überliefert werden, und der seinerseits durch das von ihm hervorgebrachte Medium geprägt ist. Insofern sind Manuskriptkulturen nicht notwendig identisch mit regionalen (etwa indischen) oder religiösen (etwa islamischen) Kulturen. An einem Ort und zu einer Zeit kann mehr als eine Manuskriptkultur existieren, etwa die einer gelehrten Elite neben der von religiösen Spezialisten.
Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts"
Projektleitung: Prof. Dr. Konrad Hirschler
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients)
Beteiligte: Prof. Dr. Alessandro Bausi, Prof. Dr. Christof Berns, Prof. Dr. Ulrich Bismayer (MIN-Fakultät, Mineralogie), Dr. Dmitry Bondarev, Prof. Dr. Christian Brockmann, Claudia Colini M.A., Prof. Dr. Christoph Dartmann, Prof. Dr. Philippe Depreux, Prof. Dr. Steffen Döll, Prof. Dr. Frank Fehrenbach, Prof. Dr. Markus Fischer (MIN-Fakultät, Chemie), Prof. Dr. Markus Friedrich, Prof. Dr. Simone Frintrop (MIN-Fakultät, Informatik), Prof. Dr. Jörg Fromm (MIN-Fakultät, Biologie), Prof. Dr. Matthias Glaubrecht (MIN-Fakultät, Centrum für Naturkunde), Prof. Dr. Volker Grabowsky, Prof. Dr. Oliver Hahn (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Berlin), Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu, Prof. Dr. Stefan Heidemann, Prof. Dr. Oliver Huck, Prof. Dr. Harunaga Isaacson, Prof. Dr. Thomas Jacobson (Helmut-Schmidt-Universität, Experimentelle Psychologie), Prof. Dr. Margit Kern, Prof. Dr. Sabine Kienitz, Prof. Dr. Roland Kießling, Prof. Dr. Gabriele Klein (Fakultät PB, Performance Studies), Dr. Daisy Livingston, Dr. Erin McCann, Prof. Dr. Dr. h.c. Cécile Michel (Centre national de la recherche scientifique, Paris), Prof. Dr. Boriana Mihailova (MIN-Fakultät, Mineralogie), Prof. Dr. Ralf Möller (U Lübeck, Informatik) Prof. Dr. Raoul Motika, Theresa Möller M.A., Prof. Dr. Stephan Olbrich (RRZ), Prof. em. Dr. Jürgen Paul (Universität Halle), Prof. Dr. Jörg B. Quenzer, Prof. Dr. Ira Rabin, Prof. Dr. Ivana Rentsch, Prof. Dr. Bruno Reudenbach, Prof. Dr. Susanne Rupp, Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer, Prof. Dr. Jochen Schlüter (MIN-Fakultät, Mineralogie), Prof. Dr. Peter Schmidt, Prof. Dr. Gerold Schneider (TUHH, Werkstoffmechanik), Prof. Dr. Christian Schroer (DESY), Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Dr. Ilona Steimann, Prof. Dr. Frank Steinicke (MIN-Fakultät, Informatik), Prof. Dr. Barend ter Haar, Dr. Stefan Thiemann (Zentrum für nachhaltiges Forschungsdatenmanagement), Prof. Dr. Jan van der Putten, Prof. Dr. Prof. h.c. Giuseppe Veltri, Prof. Dr. Beáta Wagner-Nagy, Prof. Dr. Eva Wilden, Juniorprof. Dr. Hanna Wimmer
Laufzeit: 2019–2025
Im Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts" untersuchen Forscherinnen und Forscher die Entwicklung und Funktionen von Schriftartefakten in Manuskriptkulturen weltweit – von den Anfängen im alten Mesopotamien bis ins digitale Zeitalter. Ausgangspunkt ist immer der Schriftträger aus organischem oder anorganischem, hartem oder flexiblem Material mit einem schriftlichen Inhalt sowie den Spuren seiner Produktion, Nutzung und gegebenenfalls Umnutzung.
Ziel der Forschung ist es, die kulturelle Vielfalt von Schriftartefakten anhand ihrer Materialität systematisch zu erfassen und zu untersuchen. So sollen einerseits wiederkehrende Muster erkannt und andererseits die Vielfalt der Manuskriptkulturen, vor allem in Asien und Afrika, dokumentiert und als Kulturgut erhalten werden.
In den letzten drei Jahrzehnten hat das wissenschaftliche Interesse an Schriftartefakten erheblich zugenommen. Verbesserte Möglichkeiten, Bilder und Texte zu produzieren, zu speichern, zu verbreiten und zu analysieren, haben historische und systematische Forschungen angeregt. Die Materialwissenschaften stellen Methoden zur Verfügung, mit deren Hilfe die biologischen und chemischen Identitäten von Schriftartefakten festgestellt werden können. In Asien und Afrika werden Manuskripte und Inschriften zunehmend als Teil des kulturellen Erbes begriffen, und die enorme Zahl der Manuskripte in diesen Regionen wird allmählich katalogisiert und zugänglich gemacht. Die Zeit ist gekommen, einen globalen Rahmen für die Erforschung aller Schriftartefakte von den Anfängen bis heute und aus aller Welt zu entwickeln.
Mit insgesamt vierzig Forscherinnen und Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen der Geisteswissenschaften sowie zehn aus den Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und der Psychologie wird der Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts" die Kooperation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften stärken und weiter ausbauen. Sie erarbeiten einen disziplinübergreifenden Ansatz, um die Frage zu beantworten, was das Schreiben mit dem Menschen, und was der Mensch mit dem Schreiben macht. Das führt zu Erkenntnissen, die unmittelbar relevant sind für die Bewahrung von Dingen, die zum kulturellen Erbe der gesamten Menschheit gehören.
ERC – Consolidator Grant "Beyond Influence: The Connected Histories of Ethiopic and Syriac Christianity" (Belnf)
Projektleitung: Prof. Dr. Aaron Michael Butts
(Asien-Afrika-Institut, Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik)
Laufzeit: 2022–2027
The innovative BeInf project interrogates the connected histories of Ethiopic and Syriac Christianity in their various complexities and nuances. It accomplishes this task through a series of five discrete, but complementary case studies addressing: 1. Aramaic loanwords in Ethiopic; 2. the so-called Nagran Episode, in which the sixth-century Aksumite ruler Kaleb intervened on behalf of Syriac Christians who were being persecuted in the Arabian peninsula; 3. the Ethiopic Abba Gärima Gospels, including especially their illumination programs; 4. the hagiography of the Nine Saints, who are alleged to have brought about a “second christianisation” of Ethiopia in the late fifth and early sixth centuries; 5. the Ethiopic reception of Syriac literature. BeInf’s innovation is multifaceted. It adopts a multi-disciplinary approach that brings together methods that are traditionally categorized as distinct and disconnected, including especially art history, linguistics, manuscript studies, philology, textual studies, and history. In addition, it rejects area studies and unites fields that have traditionally been isolated and siloed off in problematic ways. Finally, it proposes to move beyond influence as an analytical category for analysing connections, contacts, exchanges, and the actors and cultural brokers responsible for them and instead adopts a methodological and theoretical stance inspired by “connected history”, especially in the sense of histoire croisée. With these innovations, BeInf is positioned to make significant, long-lasting contributions to the field of Ethiopic Studies, both in content and in concept, while also serving as a paradigm-shifting model for other projects in the humanities addressing areas of inquiry that have traditionally been dominated by ill-framed questions of influence and that are primed to move beyond influence to explore connected histories with all their nuance, complexity, and texture through a multi-disciplinary approach.
ERC – Advanced Grant "Die Entwicklung der Schriftlichkeit in der Kaukasusregion – The Development of Literacy in the Caucasian Territories" (DeLiCaTe)
Projektleitung: Seniorprof. Dr. Jost Gippert
(Centre for the Study of Manuscript Cultures)
Laufzeit: 2022–2027
The development of alphabetic scripts in the context of Christianisation in the early 5th century CE meant the beginning of literacy and was a decisive step towards independent statehood for three ethnic groups in the Caucasus: Armenians, Georgians, and the so-called ‘Caucasian Albanians’. Over the last 20 years, considerable progress has been made in the analysis of the oldest written materials of the three languages preserved in palimpsest form. In a novel interdisciplinary approach, the project combines investigations into palaeography, historical linguistics, codicology, and philology, addressing, e.g., the structure of the alphabets, manuscript types and their chronological development, and the emerging literary canons, in order to gain new light on the emergence of literacy in the southern Caucasus.
ERC – Starting Grant "Hebrew Philosophical Manuscripts as Sites of Engagement" (HEPMASITE)
Projektleitung: Dr. Yoav Meyrav
(Fachbereich Religionen, Institut für Jüdische Philosophie und Religion)
Laufzeit: 2022–2027
"Hebrew Philosophical Manuscripts as Sites of Engagement" (HEPMASITE) is a five-year research project headed by Dr Yoav Meyrav of the Institute of Jewish Philosophy and Religion at Universität Hamburg.
HEPMASITE tackles the corpus of medieval Hebrew philosophical manuscripts in order to unravel the hidden history of Jewish philosophy enveloped within them. It aims to reconceptualise the understanding of Jewish philosophy as it took place in the real world and as it was studied by actual people.
HEPMASITE intends to fill the gap between two extremes: on the one hand, Hebrew manuscripts are incredibly well-documented, and in recent years, thanks to massive digitisation projects, are accessible as never before. This opens opportunities for research that were until now nearly impossible. On the other hand, Hebrew manuscripts are largely private (rather than institutionalised) endeavours that display considerable individuality, idiosyncrasy, and facing the unknown. They exhibit exceptionally high levels of anonymity, they are extremely diverse, and they contain several annotations, comments, glosses, and so forth.
This complex and uncertain state of events doubtless causes many problems, but it also offers a huge opportunity for studying philosophy as it was practiced in the real world. Retaining the particularity of Hebrew manuscripts also retains an essential component of the Hebrew philosophical narrative. With so many players unknown, the individual copy becomes our main point of entry to its history. Hence, rather than treating manuscripts as containers of text to be used to produce critical editions, research conducted within the context of HEMPASITE always stays on the manuscript level.
HEPMASITE operates according to three theoretical premises, each with its own method.
- Hebrew philosophical manuscripts are philosophical things and should therefore be studied as individuals by producing case studies.
- In the Hebrew tradition, copying a work is not distinct from the act of philosophising. If we study all the manuscripts of a certain work together, we can come up with its story. This is what the project refers to as ‘narrative philology’.
- An entire hidden history can be unearthed by analysing what happens between the lines and in the margins. To this end, the project is working on a repository of marginalia that will map the ways in which scholars engaged with the ideas they encountered.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Die Schriftkultur des christlichen Äthiopien: Eine multimediale Forschungsumgebung"
Projektleitung: Prof. Dr. Alessandro Bausi
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik)
Laufzeit: 2016–2040
Das multidisziplinäre Vorhaben ist an der Schnittstelle zwischen Informatik, Afrikanistik, Semitistik sowie der Erforschung des Nahen und Christlichen Orients angesiedelt. Der Kernbereich des Projekts liegt in der engen Verknüpfung der Informatik mit der Orientalistik, hier zu verstehen als Philologie, Literatur- und Handschriftenforschung. Im Fokus befindet sich die Äthiopistik, die historisch-philologische Disziplin, die sich mit den Sprachen und der Kultur des äthiopisch-eritreischen Bereiches befasst.
Das historische Äthiopien (die heutigen Länder Äthiopien und Eritrea) liegt, kulturgeschichtlich gesehen, zugleich am Rande des Christlichen Orients und mitten in Afrika. Das äthiopische Hochland hatte bereits in der Antike als Gebiet hoher Schriftkultur Bedeutung. Seit der Zeitenwende wurden Inschriften in einer der loka-len semitischen Sprachen, Geʿez, verfasst. Als im 4. Jahrhundert das Christentum zur offiziellen Religion des aksumitischen Reiches erhoben wurde, kam der Geʿez-Schriftkultur durch die Bibelübersetzung und die kirchlich-liturgische Literatur prägende Funktion zu.
Die Produktivität der spätantiken und mittelalterlichen wie auch der jüngeren Schriftkultur des äthiopischen Raums ist außergewöhnlich hoch. Derzeit sind ca. 20.000 Handschriften (teilweise in Form von Mikrofilmen oder Digitalisaten) in den westlichen Sammlungen zugänglich, die eine weit geringere, mangels statistischer Erhebungen aber bisher noch nicht näher bestimmbare Zahl von Werken enthalten. Mindestens zehnmal so viele Handschriften harren bisher unerschlossen in Kirchen und Klöstern vor Ort.
Die Fülle an schriftlichen Quellen stellt eine besondere Herausforderung für die Äthiopistik dar. Nur ein sehr geringer Teil der Handschriften ist durch Kataloge erfasst, die sich in der methodologischen Sorgfalt stark voneinander unterscheiden. Ein umfassendes Repertorium zur äthiopischen Literatur, das auf Basis eingehender Handschriftenuntersuchungen methodologisch konsistent Texte und Werke verzeichnet, ist ein dringendes Desiderat.
Eine vielfältige multimediale Forschungsumgebung soll durch das Vorhaben ge-schaffen werden, in der unser Wissen über die äthiopische Handschriftenkultur strukturiert aufbereitet wird. Texte aus unterschiedlichen Zeitperioden und Regionen werden mit Hilfe einer relationalen Datenbankfunktionalität mit Informationen zu den Handschriften, den relevanten Persönlichkeiten sowie den Provenienzorten verbunden. Philologische, historische, literaturwissenschaftliche und kodikologische Daten werden so miteinander verbunden, dass gezielte Abfragen ermöglicht sowie komplexe Zusammenhänge offenbart werden, die zur Veranschaulichung auf einer IT-Arbeitsplattform dargestellt werden.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Etymologika. Ordnung und Interpretation des Wissens in griechisch-byzantinischen Lexika bis in die Renaissance"
Projektleitung: Prof. Dr. Christian Brockmann
(Fachbereich SLM II, Institut für Griechische und Lateinische Philologie)
Laufzeit: 2020–2037
Das Langzeitvorhaben "Etymologika. Ordnung und Interpretation des Wissens in griechisch-byzantinischen Lexika bis in die Renaissance. Digitale Erschließung von Manuskriptproduktion, Nutzerkreisen und kulturellem Umfeld" der Akademie der Wissenschaften gehört zu insgesamt vier Vorhaben, die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Dezember 2019 in das Akademienprogramm aufgenommen wurden. Das Projekt ist mit einem Gesamtfördervolumen von 6,8 Mio Euro für 18 Jahre bewilligt worden.
Ziel des Langzeitvorhabens ist die Erforschung der griechischen etymologischen Wörterbücher („Etymologika“), einer der bedeutendsten Leistungen antiker und mittelalterlicher Wissensgeschichte in Europa. Diese Lexika wurden bis in die Renaissance und die frühe Neuzeit hinein produziert, genutzt und erweitert. Ihr Name bezieht sich auf die antiken philosophischen und grammatikalischen Auseinandersetzungen mit der Sprache auf der Suche nach dem étymon, d.h. der ‚wahren Bedeutung‘ und der Essenz eines Wortes. Das in den Etymologika gespeicherte Wissen ist ein wichtiger, bisher unzureichend erforschter Teil des literarischen und sprachwissenschaftlichen Erbes der griechischen Kultur.
Im Vordergrund des Projekts steht die erste vollständige kritische Edition des wirkmächtigen „Etymologicum Gudianum“ (Ende des 10. Jh.) mit Übersetzung und Kommentierung. Geplant sind sowohl eine gedruckte Ausgabe als auch umfangreiche Online-Ressourcen, um die Arbeitsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Zugleich wird die reiche Produktion und Nutzung der Manuskripte mit ihren mehrschichtigen Text- und Bearbeitungsstufen detailliert untersucht werden: Dadurch wird es möglich, das kulturelle Umfeld ihrer Herstellung und Verbreitung sowie den Sitz im Leben der Manuskripte als Wissensträger und -vermittler zu bestimmen.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Formulae – Litterae – Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen Formulae inklusive der Erschließung von frühmittelalterlichen Briefen und Urkunden im Abendland (ca. 500 – ca. 1000)"
Projektleitung: Prof. Dr. Philippe Depreux
(Fachbereich Geschichte, Arbeitsbereich Mittelalterliche Geschichte)
Laufzeit: 2016–2031
Das Langzeitvorhaben „Formulae – Litterae – Chartae“ der Akademie der Wissen-schaften gehört zu insgesamt fünf Vorhaben, die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Herbst 2016 neu in das Akademienprogramm aufgenommen wurden, welches der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes dient. Das Projekt ist mit einem Gesamtfördervolumen von 4,4 Mio Euro für 15 Jahre bewilligt worden.
Ziel des Projekts ist die systematische Aufarbeitung und Edition frühmittelalterlicher Musterurkunden und -briefe (Formulae) sowie die Erforschung des formelhaften Schreibens in Westeuropa vor dem 11. Jahrhundert. Es ist an der Schnittstelle von Geschichte, lateinischer Philologie und Rechtsgeschichte verankert und untersucht eine für die Erforschung der frühmittelalterlichen Gesellschaft wichtige Quelle.
Die Formulae dokumentieren die Vielfalt des gelehrten Schreibens und sollen im Rahmen des Projekts Monumenta Germaniae Historica (MGH) kritisch ediert, kommentiert und mit Übersetzung publiziert werden. Sie enthalten unentbehrliche Informationen der Sozial-, Wirtschafts-, Kultur-, Rechts- und Mentalitätsgeschichte und sind ein Zeugnis des sprachlichen Wandels von der Spätantike zum Mittelalter.
Die frühmittelalterlichen Formulae sind meistens in Sammlungen überliefert, die in einer digitalen Edition zugänglich gemacht werden sollen. Erstmalig soll eine Datenbank samt e-Lexikon erstellt werden, die die Erforschung des formelhaften Schreibens im lateinischen Frühmittelalter und den Vergleich mit anderen Briefen und Urkunden aus derselben Zeit ermöglichen.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Tamilex"
Projektleitung: Prof. Dr. Eva Wilden
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abteilung für Kultur und Geschichte Indiens und Tibets)
Laufzeit: 2023–2046
Die frühen poetischen Anthologien des klassischen Tamil, die bis auf den Beginn unserer Zeitrechnung zurückgehen, haben zum großen literarischen Erbe der Menschheit beigetragen, obwohl sie im Westen noch wenig bekannt sind. Das erste Jahrtausend allein umfasst eine umfangreiche Tradition von Liebes- und Heldendichtung, aber auch didaktische, epische und religiöse Sammlungen. Hinzukommt ein ausgefeiltes System von Grammatik, Poetik und Lexikographie, mit dem einerseits junge Dichter trainiert wurden und das andererseits die theoretische Grundlage für die Rezeption durch die literarischen Kenner bildete. Umfangreiche Kommentare zeugen von langfristigen Bemühungen, diese radikal von der Alltagssprache abweichenden Texte am Leben zu erhalten. Bis heute gibt es kein historisches Wörterbuch, das die Entwicklung von Sprache und Wortbedeutungen über die verschiedenen Strömungen und Jahrhunderte darstellt.
Die überlieferten Texte des klassischen Tamil umfassen säkuläre und religiöse Dichtung und Epen, Schriften zur Lebensweisheit und eine wissenschaftliche Tradition, die größtenteils auf den sprachorientierten Disziplinen basiert, einschließlich des Bereichs der Lexikographie. Aufgrund eines ausgeprägten Unterschieds zwischen literarischer Sprache und Alltagssprache musste die frühe Literatur, begleitet von starker dialektaler Variation, um Kommentare ergänzt werden.
Ziel des Langzeitforschungsvorhabens "Tamilex. Erstellung eines elektronischen Korpus der klassischen tamilischen Literatur und eines historischen Wörterbuches unter Berücksichtigung von einheimischen exegetischen und lexikographischen Quellen" ist es, ein elektronisches Korpus der wichtigsten Texte des ersten Jahrtausends zu erstellen. Dem gehen umfangreiche Vorarbeiten in Form von kritischen Ausgaben, Übersetzungen und Digitalisaten voraus. Zunächst werden Korpuswörterbücher (Konkordanzen aller Vorkommen und Herleitungsformen) entstehen. Sie bilden die Grundlage für ein zweisprachiges historisches Lexikon auf Tamil und Englisch.
Jeder Eintrag soll einerseits die semantische Entwicklung, andererseits die poetische Vieldeutigkeit von Wörtern veranschaulichen. Auch die phonetische Einheit von Wörtern mit verschiedenen Bedeutungen ist in dem Lexikon nachzuschlagen. Die Zitate werden sowohl für die Texte als auch für die Kommentare in das elektronische Korpus zurückverlinkt, Querverweise ermöglichen den Zugriff auf frühere gedruckte Wörterbücher. Die Forschungsarbeit mündet in ein interaktives Online-Tool. Dieses digitale Angebot ermöglicht eine direkte Auseinandersetzung mit den Ausgangstexten, den exegetischen Materialien und dem lexikografischen Werk beziehungsweise den lexikografischen Werken.
DFG – Langfristvorhaben "Afrikanische Stimmen in islamischen Manuskripten aus Mali: Erschließung und Erforschung afrikanischer Sprachen in arabischer Schrift (Ajami)"
Projektleitung: Dr. Dmitry Bondarev
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. für Afrikanistik und Äthiopistik)
Laufzeit: 2017–2029
In arabischer Schrift geschriebene afrikanische Sprachen (Ajami) stellen ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld der Afrikanistik dar. Bisher ist nur unzureichend untersucht worden, welche Rolle die regionalen Sprachen in den islamischen Manuskripten spielten, die in den komplexen vielsprachigen und multiethnischen Gemeinschaften in Westafrika angefertigt wurden. Um diese Lücken in unserem Verständnis der afrikanischen Sprachen und Kulturen zu schließen, wird dieses Projekt in einem groß angelegten Forschungsvorhaben die Sammlungen der Ajami-Manuskripte aus Timbuktu, die nach Bamako in Sicherheit gebracht wurden, und andere Sammlungen aus den Bibliotheken Malis systematisch erforschen. Die Hauptziele des Projekts sind:
1. Katalogisierung und Tiefenerschließung einer großen, repräsentativen Anzahl von Ajami-Manuskripten,
2. historische und linguistische Untersuchung des erschlossenen Materials, und
3. Schaffung von Grundlagen für die interdisziplinäre Ajami-Forschung.
Diese Aufgaben werden von einem Team von Wissenschaftlern übernommen, wobei eine Gruppe in Deutschland und eine in Mali arbeitet. Das Forschungsprojekt, das auf zwölf Jahre angelegt ist, wird in enger Zusammenarbeit mit internationalen Spezialisten durchgeführt. Die Ergebnisse des Projekts werden für viele Forschungsgebiete von Bedeutung sein, z.B. für die Geschichte des subsaharischen Afrika, die islamische Geistesgeschichte, Anthropologie, Soziolinguistik sowie für die vergleichende Manuskriptwissenschaft.
DFG – Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Die Entwicklung islamischer Gesellschaften (ca. 600–1600): algorithmische Analyse zur Sozialgeschichte"
Projektleitung: Dr. Maxim Romanov
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. Vorderer Orient)
Laufzeit: 2021–2027
Im ersten Jahrtausend ihrer Geschichte (ca. 600–1600 n. Chr.) entwickelte sich die islamische Gesellschaft von einem einfachen Stammeswesen zu einem facettenreichen sozialen, kulturellen und politischen Gebilde, das sich von Spanien und Nordafrika bis Zentralasien und Indien erstreckte. Arabische Chroniken und biographische Sammlungen bewahren eine Fülle von Informationen über langfristige umweltbedingte und gesellschaftliche Prozesse, die die islamische Gesellschaft im Laufe dieser Zeit geprägt haben. Diese zahlreichen und umfangreichen Texte bilden eine sehr reichhaltige „Fundgrube“ von Informationen über die Zeit vor dem 15. Jahrhundert, für die es nur sehr wenige Dokumente und Archive gibt. Das Emmy-Noether-Projekt (ENP) wird in einer innovative Studie über "Die Evolution islamischer Gesellschaften (ca. 600-1600 n. Chr.)" diese historischen Texte, die erstmals ganzheitlich als ein einheitliches Korpus historischer Informationen behandelt werden (ca. 300 Titel, 100 Mio. Wörter; ca. 400.000 biographische Aufzeichnungen), algorithmisch untersuchen. Das Team des ENP, bestehend aus dem PI und zwei DoktorandInnen, wird in drei eng verbundenen Teilprojekten langfristige historische Trends identifizieren und analysieren.
Das erste Teilprojekt wird ethnische, religiöse und berufliche Gruppen darauf untersuchen, wie sie die Entwicklung der lokalen Gemeinschaften geprägt und zu dem verschmolzen haben, was wir die „islamische Welt“ nennen. Das zweite erforscht dynastische Zyklen an Hand des Aufstiegs und Falls regionaler Mächte, ihrer Konflikte und Interaktionen. Das dritte Teilprojekt wird Umweltfaktoren—Plagen, Hungersnöte, Dürren, Schädlingsbefall, Erdbeben und Klimawandel—und deren Auswirkungen auf das Leben der lokalen Gemeinschaften analysieren.
Alle Teilprojekte ergänzen sich gegenseitig und bilden die Grundlage für eine Synthese der Entwicklung der islamischen Welt in diesem Zeitraum durch den PI. Bedingt durch Umfang und Komplexität des Materials, wird das ENP eine Reihe von digitalen Textanalyse- und Modellierungsmethoden einsetzen, die in den letzten Jahren in den digitalen Geisteswissenschaften entwickelt wurden, um die mittelalterlichen arabischen historischen Quellen effektiv und reproduzierbar zu analysieren. Der vorgeschlagene methodische Ansatz ist der Schlüssel zur Entdeckung, Bewertung und Modellierung aller relevanten Textnachweise in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.