Weitere Forschung
Hier finden Sie einen Überblick über weitere Forschungsprojekte in der Fakultät für Geisteswissenschaften, die keinem der universitären Forschungsschwerpunkte, Potenzialbereiche oder Profilinitiativen zugeordnet sind:
European Research Council (ERC) Grants
ERC Advanced Grant "Poetry in the Digital Age"
Projektleitung: Prof. Dr. Claudia Benthien
(Fachbereich SLM I, Institut für Germanistik)
Laufzeit: 2021–2025
Heutige Präsentationsformen von Lyrik finden sich oft jenseits des Buches, z.B. auf Bühnen oder im Internet. Solche performativen Formen, in denen poetische Sprache durch Musik oder visuelle Komponenten sowie die physische Anwesenheit des ‚Poeten‘ oder der ‚Poetin‘ ergänzt wird, eröffnen neue Zugänge zu einer literarischen Gattung, die bislang als elitär oder abstrakt galt. Anspruchsvolle ‚Buchlyrik‘ erlangt durch populäre Formate eine größere Reichweite, wie dies auch umgekehrt gilt. Lyrik erhält auch neue Funktionen, indem sie Gemeinschaften erzeugt, die sich durch physische oder virtuelle Ko-Präsenz auszeichnen. Populäre Lyrikformate und Online-Praktiken verstärken die Selbstinszenierung der Poet/innen. Gedichte können aber auch als Medium für politischen Aktionismus, Meinungsäußerung und die spielerische Aushandlung von Transkulturalität und Multilingualität dienen.
Das Projekt ist zwischen Literaturwissenschaft, Cultural und Interart Studies angesiedelt. Es wird Analyseparameter für die facettenreichen aktuellen Lyrik-Formate entwickeln, die von popkulturellen Werken bis hin zur elaborierten Kunst reichen, indem es die Formen und Räume ihrer Präsentation und Performance untersucht – von der Theaterbühne bis zu Social Media, von der Schriftseite bis zum urbanen Raum. Es wird die folgenden Leitfragen beantworten: Welche Faktoren haben zur aktuellen Popularität von ‚Poetry’ beigetragen? Wie können ihre Genres systematisiert werden? Welche neuen Methoden und Theorien werden benötigt, um sie zu untersuchen? Wie unterscheiden, interagieren oder vermischen sich Unterhaltungskultur und ‚Hochkultur‘? Welche (ästhetischen, kulturellen, sozialen, politischen) Funktionen haben diese neuen Formen und Modi der Präsentation?
Die Forschungsarbeit wird in drei zentrale Felder gegliedert, die sich schwerpunktmäßig (1) Lyrik und Performance, (2) Lyrik und Musik und (3) Lyrik und Visueller Kultur widmen. Ein interdisziplinäres Team, bestehend aus den Fächern Literaturwissenschaft, Medien- und Filmwissenschaft, Theaterforschung, Sound Studies, Sprechwissenschaft und Visual Culture Studies, wird dieses Feld gemeinsam kartografieren. Als eine ‚Poetik neuer Formen‘ wird das Projekt erstmalig die große Diversität, das mediale Spektrum und die Verbreitung zeitgenössischer Gedichte untersuchen. Seine Forschungsergebnisse werden zu einer neuen, erweiterten Definition von Lyrik führen und die Art und Weise verändern, wie Wissenschaftler/innen, Dichter/innen und die Öffentlichkeit diese literarische Gattung betrachten.
ERC Advanced Grant "Visual Scepticism. Towards an Aesthetic of Doubt"
Projektleitung: Prof. Dr. Margit Kern
(Fachbereich Kulturwissenschaften, Kunstgeschichtliches Seminar)
Laufzeit: 2022–2026
Im Frühsommer 2020 wurden nach dem Tod von George Floyd weltweit zahlreiche Denkmäler gestürzt. Die ikonoklastischen Akte werfen die drängende Frage auf, wie der Umgang mit diesem historischen Erbe idealerweise aussehen soll. Der Denkmalschützer Norbert Huse hat in diesem Zusammenhang in einer gleichnamigen Publikation von „unbequemen Denkmalen“ gesprochen, Sharon Macdonald von "difficult heritage". Da vor allem Monumente des Faschismus und des Kolonialismus die menschenverachtenden Ideologie der Regime auch ästhetisch zum Ausdruck bringen, kann die häufig gewählte Lösung, eine Informationstafel neben dem Denkmal aufzustellen nicht überzeugen, da auf diese Weise die Wirkmacht dieser Rhetorik im öffentlichen Raum unwidersprochen bleibt. Mit dem Konzept der „visuellen Skepsis“ schlägt das Projekt einen anderen Umgang mit diesen Denkmalen vor. Die Monumente sollen ästhetisch neu gerahmt werden, ohne dass sie als historische Erinnerung vollständig ausgelöscht werden.
Das Projekt verfolgt daher drei Ziele:
Zum ersten soll mit dem Begriff der „visuellen Skepsis“ grundsätzlich untersucht werden, ob und wie visuelle Medien in der Lage sind, sich selbst in Zweifel zu ziehen. Wie gelingt es ihnen mit Hilfe von inneren Widersprüchen Erkenntnis zu generieren. Die These lautet, dass diese Formen der Wissensproduktion auf einer rein visuellen Ebene stattfinden. Es soll analysiert werden, wie Bilder innere Spannungen erzeugen und mit dialogischen Strukturen operieren können, die Erkenntnis freisetzen.
Zum zweiten soll anhand von Denkmälern des Kolonialismus aufgezeigt werden, wie diese Erinnerung nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch wirksam wird. Dieser ästhetische Appell an die Raumerfahrung beziehungsweise die Körpersinne der Betrachtenden soll genau analysiert werden.
Zum dritten sollen Denkmäler analysiert werden, die erfolgreich neu gerahmt wurden, um aufzeigen zu können, wie durch künstlerische Interventionen ästhetische Antworten auf menschenverachtende Ideologien gefunden wurden.
So sollen mit den Projektpublikationen eine Systematik der visuellen Skepsis erstellt und Beispiele umgestalteter Denkmäler in einer Datenbank bereitgestellt werden, welche langfristig die Grundlage für ein "Center for Difficult Heritage" bilden.
ERC Synergy Grant "Taming the European Leviathan: The Legacy of Post-War Medicine and the Common Good"
Projektleitung: Prof. Dr. Ulf Schmidt
(Fachbereich Geschichte, Deutsche Geschichte)
Laufzeit: 2020–2026
Was ist Europa? Wenn man das Europa der Nachkriegszeit studiert liegt der Schwerpunkt auf ideologischen Spaltungen, konkurrierenden Wirtschaftsmodellen und den unterschiedlichen politischen Systemen, die Ost- und Westeuropa trennen. Das EU-finanzierte Projekt LEVIATHAN stellt die bestehenden Ost-West-Interpretationen der europäischen Identität infrage. Dabei soll das Europa der Nachkriegszeit nicht als zwei getrennte Hälften untersucht, sondern Europa als Ganzes verstanden werden. Die europäische Geschichte ist unserer Meinung nach von der Sorge um Gesundheit als Allgemeingut geprägt. Indem wir die Medizin als analytische Linse nehmen, werden wir eine gemeinsame Geschichte Europas über die übliche Ost-West-Dichotomie hinaus entwickeln. LEVIATHAN arbeitet mit einem multidisziplinären Ansatz: Weder Wirtschaft noch Politik, weder Ideologie noch Alltag alleine können das Streben nach einem europäischen Allgemeingut verstehen; nur die Einbeziehung all dieser Blickwinkel vermag dies zu erreichen.
Reinhart Koselleck-Projekte (DFG)
Reinhart Koselleck-Projekte stehen für mehr Freiraum für besonders innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Forschung. Durch besondere wissenschaftliche Leistung ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll die Möglichkeit eröffnet werden, in hohem Maße innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Projekte durchzuführen.
"Ton-Spuren verlorener Filme. Gedruckte Filmmusiken bis 1918"
Projektleitung: Prof. Dr. Oliver Huck (Fachbereich Kulturwissenschaften, Institut für Historische Musikwissenschaft)
Laufzeit: 2024–2029
Die anachronistische Bezeichnung 'Stummfilm' vermag die Soundscapes im frühen Kino nicht zu erfassen. Denn vor dem Tonfilm war die durchgehende Begleitung von Spielfilmen mit Musik die Regel, nur in Ausnahmefällen wurde jedoch anstatt einer Zusammenstellung aus dem Notenfundus der Kinos eigens für einen bestimmten Film eine komponierte oder zusammengestellte Musik gedruckt. Da mehr als 70 % der 'Stummfilme' nicht erhalten sind, haben nur wenige dieser über 100 Partituren bisher Beachtung gefunden. Die im Projekt geplante Analyse dieser Ton-Spuren verlorener Filme emanzipiert sich von dem Paradigma, wonach Filmmusik primär als angewandte und funktionale Musik zu betrachten sei. Zugleich trägt sie der Tatsache Rechnung, dass es sich auch dort, wo Film und Musik erhalten sind, um audio-visuelle Palimpseste handelt Das Projekt zielt darauf ab, die Formation und Genese der Kompositionen von Filmmusik erstmals unter Auswertung sämtlicher eigens gedruckter, überwiegend komponierter, teilweise auch kompilierter Musiken zu untersuchen und so einen grundlegenden Beitrag zur musikalischen Ästhetik und den musikalischen Dispositiven des vorklassischen Stummfilms zu leisten. Der Zeitrahmen von der ersten sogenannten Krise des Films 1908 bis 1918 bietet die Möglichkeit, mit Deutschland, England, Frankreich, Italien und den USA die Produktion und Rezeption von Filmmusik unter unterschiedlichen ästhetischen, ökonomischen und rechtlichen Bedingungen vergleichend zu untersuchen. Die Arbeitshypothese ist, dass in den frühen Kompositionen heterogene Ansätze, die in unterschiedlichen musikalischen Gattungstraditionen des 19. Jahrhunderts wurzeln, erprobt werden und erst auf dieser Grundlage die Formation von Filmmusik erfolgt.
Beteiligung an Forschungsverbünden
Die Fakultät für Geisteswissenschaften ist zurzeit an folgenden Forschungsverbünden beteiligt:
EXC 2037: CLICCS (DFG)
Teilprojektleiter der Fakultät GW: Prof. Dr. Michael Schnegg, Ethnologie
Laufzeit: 2019–2025
CHARTER (EU, Horizon-2020)
Projektleitung: Bruce C. Forbes, University of Lapland
Teilprojektleiter der Fakultät GW: Prof. Dr. J. Otto Habeck, Institut für Ethnologie (Work Package 3: "Socio-economic impacts of Arctic environmental changes on indigenous populations and local communities")
Laufzeit: 2020–2024