Interview mit Prof. Dr. Julia Nantke„Ich habe sehr davon profitiert, in strategische Prozesse der Fakultät eingebunden zu sein“
1. Oktober 2025, von Zsuzsa Becker

Foto: Carina Wendland
Nachdem Prof. Dr. Julia Nantke nach sechs Jahren als Juniorprofessorin das sogenannte Tenure Track-Evaluationsverfahren erfolgreich abgeschlossen hat, ist sie seit Oktober 2025 W2-Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Digital Humanities für Schriftartefakte am Fachbereich SLM I. Wie sie von dem Tenure-Track-Programm profitiert hat und wie es nun weitergeht, erzählt sie im Interview.
Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Abschluss Deines Tenure-Track-Verfahrens und dem Erhalt einer Lebenszeitprofessur. Du bist 2019 von der Bergischen Universität Wuppertal zu uns gekommen. Was hattest Du für Ziele und Erwartungen bei Deinem Start in Hamburg?
Ich habe mich bereits während meiner Promotion zum Werk von Kurt Schwitters und meiner Arbeit an der Schwitters-Edition intensiv mit dem Thema ‚Schriftartefakte‘ beschäftigt und mich im Anschluss als PostDoc in Wuppertal zunehmend dem Bereich der Digital Humanities, also der Nutzung digitaler und insbesondere algorithmischer Verfahren zur Erschließung und Analyse geisteswissenschaftlicher Objekte und Forschungsfragen zugewandt. Die Universität Hamburg bot und bietet mir ein Umfeld, in dem beide Richtungen durch herausragende Forschungsarbeiten vertreten und durch das CSMC und das Exzellenzcluster UWA auch institutionell sehr gut aufgestellt sind. Meine Erwartung bestand v.a. darin, meine Forschungsschwerpunkte in diesem inspirierenden Umfeld weiter vertiefen zu können. Durch meine Doppeldenomination konnte ich mich dabei insbesondere auf die sehr spannende Schnittstelle von Digital Humanities und analogen, häufig handschriftlichen Schriftartefakten konzentrieren. Eine Förderung durch die Hermann-Reemtsma-Stiftung direkt zum Beginn meiner Juniorprofessur hat es mir ermöglicht, diese Forschungsrichtung im Rahmen eines Projekts zur digitalen Erschließung des umfangreichen Briefnachlasses von Richard und Ida Dehmel mit einem Team von zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen intensiv zu verfolgen.
Welche Vorteile bietet das Tenure-Track-Programm für Early Career Researchers und wie hast Du ganz persönlich von dem Programm profitiert?
Vor allem bietet das Programm eine langfristige Perspektive für den insgesamt ja häufig durch Unplanbarkeit gekennzeichneten Weg in der Wissenschaft. Das galt in meinem Fall insbesondere auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Institutionell fühlt man sich zudem ganz anders eingebunden als bei einer von vorn herein befristeten Anstellung in einem Drittmittelvorhaben oder als PostDoc unter den Vorzeichen des WissZeitVG. Das hat meine Identifikation mit der Universität Hamburg sehr gestärkt. Durch das TT-Programm hatte ich die Möglichkeit, mein Forschungs- und Lehrprofil systematisch zu entwickeln und meine Forschungsschwerpunkte, Projekte und Kooperationen vor einem größeren Zeithorizont zu planen. Zudem habe ich gerade in der zweiten Phase meiner Juniorprofessur sehr davon profitiert, zunehmend in längerfristige strategische Prozesse am Institut und in der Fakultät eingebunden zu sein.
Gab es Mentor:innen, Kolleg:innen oder besondere Aktivitäten, die dir während Deiner Juniorprofessur besonders geholfen haben?
Insgesamt habe ich vonseiten meiner Kolleg:innen am Institut sowie darüber hinaus von Anfang an große Unterstützung sowie Interesse an meiner Forschung und auch an mir als Person erfahren. Als Mentor stand mir Prof. Dr. Martin Schäfer mit seiner langjährigen Erfahrung an der UHH vielfach mit Rat und Tat zur Seite. Das hat mir als ‚Neuling‘ in Hamburg sehr bei der Orientierung geholfen. Außerdem habe ich mit Prof. Dr. Heike Zinsmeister eine tolle Kollegin im Bereich Digital Humanities gefunden, mit der ich bereits in der ersten Phase meiner Juniorprofessur gemeinsame Projekte angestoßen habe. Ganz zentral ist hierbei das Digital Humanities Lab (DH-Lab) zu nennen, das wir 2021 zunächst als virtuelles Vernetzungs- und Austauschforum für digitale geisteswissenschaftliche Forschung gegründet haben und das seit 2023 nun auch als offener Raum für digitale Forschung und Weiterbildung in der geisteswissenschaftlichen Bibliothek im Philturm situiert ist. Das DH-Lab hat mir viele neue Forschungsperspektiven, Kontakte und Kooperationen innerhalb der Geisteswissenschaften und in die Informatik an der UHH eröffnet und tut dies bis heute. Nicht zuletzt war es ebenfalls eine großartige Erfahrung, bereits als Juniorprofessorin vonseiten des Dekanats im Rahmen der Digitalstrategie in die strategische Weiterentwicklung der Fakultät eingebunden zu sein.
Du bist bereits seit 2023 Faculty Digital Officer und hast nicht nur das Digital Humanities Lab, sondern auch die Digitalstrategie der Fakultät federführend mitentwickelt. Das war sicherlich eine große Herausforderung in der frühen zweiten Phase Deiner Juniorprofessur?
Die Zusammenarbeit mit dem Dekanat und das große Vertrauen, das die Dekanin Prof. Dr. Silke Segler-Meßner hierbei in mich gesetzt hat, habe ich von Anfang an als sehr ‚empowernd‘ empfunden, zumal das Thema Digitalität nicht nur für meine eigene Forschung, sondern aus meiner Sicht auch insgesamt strategisch von hoher Relevanz ist. Die strukturierte Ausbildung digitaler Kompetenzen in Forschung und Lehre, der Ausbau digitaler Forschungsaktivitäten sowie die kritische Reflexion von deren Bedingungen sind insbesondere vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen im Bereich generativer KI meines Erachtens entscheidend für die Sichtbarkeit und Relevanz der Geisteswissenschaften.
Die Arbeit als FDO war für mich vor allem herausfordernd, weil sie strategisches Denken und Handeln in einem fakultären, teilweise auch universitären Maßstab erfordert. Die Einarbeitung in diese Dimensionen und die vielen verschiedenen Faktoren, die es dabei zu berücksichtigen gilt, habe ich anfangs als Herausforderung empfunden. Allerdings konnte ich sehr davon profitieren, dass ich die Möglichkeit hatte, langsam in die Rolle der FDO ‚hineinzuwachsen‘. Das DH-Lab gab es ja bereits seit 2021 und auch in die Gesprächsrunden zur Digitalstrategie hat mich die Dekanin nach und nach eingebunden, sodass ich die Übernahme des Amtes vielmehr als Bereicherung empfunden habe. Als FDO habe ich die großartige Möglichkeit, aktiv an der strategischen Weiterentwicklung der Fakultät mitzuwirken – und das in einem Feld, das mir persönlich besonders am Herzen liegt.
Welche Pläne hast Du für die kommenden Jahre – in Forschung, Lehre, Transfer und persönlich?
Ich möchte den Bereich Digital Humanities an der Universität Hamburg systematisch weiter ausbauen. In der Forschung möchte ich meine während der Juniorprofessur erarbeiteten Forschungsschwerpunkte weiterentwickeln und hierbei in Kooperation mit Kolleg:innen der UHH und der SUB sowie mit Vertreter:innen aus dem GLAM-Bereich auch zur strategischen Gesamtentwicklung der Fakultät auf dem Gebiet der digitalen Geisteswissenschaften beitragen. Die Wechselwirkungen zwischen analoger Materialität und aktuellen digitalen Praktiken, insbesondere aus dem Bereich des Maschinellen Lernens und der generativen KI, spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle wie die Reflexion und historische Kontextualisierung der Implikationen digitaler Schriftlichkeit im 21. Jahrhundert. Insbesondere freue ich mich zudem auf die Kooperation mit Kolleg:innen der Universität Leeds, die wir im vergangenen Jahr angebahnt haben. Wir planen aktuell mehrere gemeinsame Forschungsvorhaben, die sich aktiv modellierend sowie kritisch reflektierend mit dem Bereich der gKI zur Erschließung und Nutzung von Archiven und Kulturgut beschäftigen.
In der Lehre wird es um die stärkere Verankerung digitaler Methoden sowie der kritischen Reflexion von Digitalität im Curriculum gehen. Diese Aspekte sind bereits jetzt regelmäßig Teil meiner Lehrveranstaltungen. Zukünftig planen wir als Digital Office Humanities, das ich gemeinsam mit Heike Zinsmeister leite, die Entwicklung eines fakultären Zertifikatsprogramms sowie eines Masterstudiengangs Digital Humanities. Beides wird dazu beitragen, die Attraktivität der Universität Hamburg für nationale und internationale Studierende der Geisteswissenschaften weiter zu erhöhen.
Im Juli 2024 habe ich mit weiteren Kolleg:innen der UHH das Transferevent „KI zum Anfassen“ organisiert, bei dem es darum ging, auf niedrigschwellige und spielerische Weise die Funktionsweise, die Möglichkeiten und Grenzen generativer KI kennenzulernen. Daran anknüpfend möchte ich künftig weitere Formate entwickeln, um mit Personen außerhalb des akademischen Felds ins Gespräch zum Thema gKI zu kommen. Einen besonderen Schwerpunkt möchte ich dabei auf die Kooperation mit Schulen legen, da ich die angeleitete kritische Auseinandersetzung mit den Funktionsweisen von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz für einen zentralen Aspekt der Ausbildung von Schüler:innen erachte.
Persönlich fühle ich mich an der Uni Hamburg insgesamt und in meinem Umfeld an der Fakultät und am Institut sehr angekommen und freue mich sehr auf viele weitere spannende Projekte und Aktivitäten mit tollen Kolleg:innen innerhalb und außerhalb der UHH.
Zur Person
Prof. Dr. Julia Nantke hat 2016 an der an der Bergischen Universität Wuppertal promoviert. Anschließend war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am DFG-Graduiertenkolleg "Dokument – Text – Edition. Bedingungen und Formen ihrer Transformation und Modellierung in transdisziplinärer Perspektive" der Bergischen Universität Wuppertal und seit Oktober 2019 Juniorprofessorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Digital Humanities für Schriftartefakte am Fachbereich SLM I. Als Faculty Digital Officer ist sie seit 2023 u.a. verantwortlich für die Entwicklung der Digitalstrategie der Fakultät.