Manuscript Cultures
Die Erfindung der Schrift und des Schreibens gehört zu den folgenschwersten Neuerungen der Menschheitsgeschichte. Schriftlichkeit war die längste Zeit Handschriftlichkeit, und selbst die vergleichsweise rezente Verbreitung des Typendrucks hat keinesfalls, wie manchmal noch behauptet wird, einen radikalen Bruch herbeigeführt. Das westeuropäische Manuskript spielte nicht nur bis weit ins 18. Jahrhunderte eine wichtige Rolle, sondern ist dem neuen Medium im Sinne des Wortes eingeschrieben – noch heute steht das gedruckte Buch dem mittelalterlichen Manuskript näher, als die gängige These vom „Medienwechsel“ suggeriert. In anderen Kulturen hat es noch länger gedauert, bis der Typendruck sich wenigstens in den städtischen Zentren durchsetzte: In China geschah dies beispielsweise erst im frühen 20. Jahrhundert, wobei der noch zum Leitmedium Manuskript gehörende Blockdruck (seit dem 7. Jahrhundert als Holzdruck, seit dem 19. Jahrhundert auch als Steindruck) erfolgreich konkurrierte, obwohl der Typendruck seit dem 11. Jahrhundert bekannt war. Von hierher gesehen, ist es durchaus fraglich, ob die quasi teleologische Abfolge einzelner Medien bzw. Leitmedien, wie sie seit dem Erscheinen der „Gutenberg-Galaxie“ immer noch in der aktuellen Diskussion im Gefolge des jüngsten Medienwechsels zur elektronischen Textverarbeitung und zum Internet behauptet wird, nicht in Wahrheit eine durchaus kontingente, regionale Perspektive darstellt.
Die Manuskriptkulturen Asiens und Afrikas sind bei uns kaum bekannt und werden darum auch nur ausnahmsweise vergleichend oder typologisch berücksichtigt. Sie sind aber auch in ihren eigenen Regionen im Zuge von Modernisierungsprozessen oft in Vergessenheit geraten und nicht selten im materiellen Bestand gefährdet. Rückbesinnung auf eigene Traditionen führt inzwischen mancherorts zu neuer Wertschätzung oder gar Wiederbelebung von Manuskriptkulturen.
Wer darum das Medium Manuskript in anthropologischer oder universaler Hinsicht thematisieren will, kommt nicht umhin, die reiche empirische Vielfalt von Manuskriptkulturen in den Blick zu nehmen, wobei die gewaltige Menge des Materials (vorsichtige Schätzungen gehen von mehr als zehn Millionen erhaltenen Manuskripten weltweit für alle Manuskriptkulturen aus) eigene methodische Zugänge erfordert.
Unter „Manuskriptkultur“ ist zu verstehen der soziale und kulturelle Kontext, in dem Manuskripte produziert, benutzt und überliefert werden, und der seinerseits durch das von ihm hervorgebrachte Medium geprägt ist. Insofern sind Manuskriptkulturen nicht notwendig identisch mit regionalen (etwa indischen) oder religiösen (etwa islamischen) Kulturen. An einem Ort und zu einer Zeit kann mehr als eine Manuskriptkultur existieren, etwa die einer gelehrten Elite neben der von religiösen Spezialisten.
Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts"
Projektleitung: Prof. Dr. Michael Friedrich
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. für Sprache und Kultur Chinas)
Beteiligte: Prof. Dr. Alessandro Bausi, Prof. Dr. Christof Berns, Prof. Dr. Ulrich Bismayer (MIN-Fakultät, Mineralogie), Dr. Dmitry Bondarev, Prof. Dr. Christian Brockmann, Claudia Colini M.A., Prof. Dr. Christoph Dartmann, Prof. Dr. Philippe Depreux, Prof. Dr. Steffen Döll, Prof. Dr. Frank Fehrenbach, Prof. Dr. Markus Fischer (MIN-Fakultät, Chemie), Prof. Dr. Markus Friedrich, Prof. Dr. Simone Frintrop (MIN-Fakultät, Informatik), Prof. Dr. Jörg Fromm (MIN-Fakultät, Biologie), Prof. Dr. Matthias Glaubrecht (MIN-Fakultät, Centrum für Naturkunde), Prof. Dr. Volker Grabowsky, Prof. Dr. Oliver Hahn (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Berlin), Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu, Prof. Dr. Stefan Heidemann, Prof. Dr. Oliver Huck, Prof. Dr. Harunaga Isaacson, Prof. Dr. Thomas Jacobson (Helmut-Schmidt-Universität, Experimentelle Psychologie), Prof. Dr. Margit Kern, Prof. Dr. Sabine Kienitz, Prof. Dr. Roland Kießling, Prof. Dr. Gabriele Klein (Fakultät PB, Performance Studies), Dr. Daisy Livingston, Dr. Erin McCann, Prof. Dr. Dr. h.c. Cécile Michel (Centre national de la recherche scientifique, Paris), Prof. Dr. Boriana Mihailova (MIN-Fakultät, Mineralogie), Prof. Dr. Ralf Möller (U Lübeck, Informatik) Prof. Dr. Raoul Motika, Theresa Möller M.A., Prof. Dr. Stephan Olbrich (RRZ), Prof. em. Dr. Jürgen Paul (Universität Halle), Prof. Dr. Jörg B. Quenzer, Prof. Dr. Ira Rabin, Prof. Dr. Ivana Rentsch, Prof. Dr. Bruno Reudenbach, Prof. Dr. Susanne Rupp, Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer, Prof. Dr. Jochen Schlüter (MIN-Fakultät, Mineralogie), Prof. Dr. Peter Schmidt, Prof. Dr. Gerold Schneider (TUHH, Werkstoffmechanik), Prof. Dr. Christian Schroer (DESY), Prof. Dr. Johann Anselm Steiger, Dr. Ilona Steimann, Prof. Dr. Frank Steinicke (MIN-Fakultät, Informatik), Prof. Dr. Barend ter Haar, Dr. Stefan Thiemann (Zentrum für nachhaltiges Forschungsdatenmanagement), Prof. Dr. Jan van der Putten, Prof. Dr. Prof. h.c. Giuseppe Veltri, Prof. Dr. Beáta Wagner-Nagy, Prof. Dr. Eva Wilden, Juniorprof. Dr. Hanna Wimmer
Laufzeit: 2019 - 2025
Im Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts" untersuchen Forscherinnen und Forscher die Entwicklung und Funktionen von Schriftartefakten in Manuskriptkulturen weltweit – von den Anfängen im alten Mesopotamien bis ins digitale Zeitalter. Ausgangspunkt ist immer der Schriftträger aus organischem oder anorganischem, hartem oder flexiblem Material mit einem schriftlichen Inhalt sowie den Spuren seiner Produktion, Nutzung und gegebenenfalls Umnutzung.
Ziel der Forschung ist es, die kulturelle Vielfalt von Schriftartefakten anhand ihrer Materialität systematisch zu erfassen und zu untersuchen. So sollen einerseits wiederkehrende Muster erkannt und andererseits die Vielfalt der Manuskriptkulturen, vor allem in Asien und Afrika, dokumentiert und als Kulturgut erhalten werden.
In den letzten drei Jahrzehnten hat das wissenschaftliche Interesse an Schriftartefakten erheblich zugenommen. Verbesserte Möglichkeiten, Bilder und Texte zu produzieren, zu speichern, zu verbreiten und zu analysieren, haben historische und systematische Forschungen angeregt. Die Materialwissenschaften stellen Methoden zur Verfügung, mit deren Hilfe die biologischen und chemischen Identitäten von Schriftartefakten festgestellt werden können. In Asien und Afrika werden Manuskripte und Inschriften zunehmend als Teil des kulturellen Erbes begriffen, und die enorme Zahl der Manuskripte in diesen Regionen wird allmählich katalogisiert und zugänglich gemacht. Die Zeit ist gekommen, einen globalen Rahmen für die Erforschung aller Schriftartefakte von den Anfängen bis heute und aus aller Welt zu entwickeln.
Mit insgesamt vierzig Forscherinnen und Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen der Geisteswissenschaften sowie zehn aus den Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und der Psychologie wird der Exzellenzcluster "Understanding Written Artefacts" die Kooperation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften stärken und weiter ausbauen. Sie erarbeiten einen disziplinübergreifenden Ansatz, um die Frage zu beantworten, was das Schreiben mit dem Menschen, und was der Mensch mit dem Schreiben macht. Das führt zu Erkenntnissen, die unmittelbar relevant sind für die Bewahrung von Dingen, die zum kulturellen Erbe der gesamten Menschheit gehören.
ERC – Advanced Grant "Die Entwicklung der Schriftlichkeit in der Kaukasusregion – The Development of Literacy in the Caucasian Territories" (DeLiCaTe)
Projektleitung: Seniorprof. Dr. Jost Gippert
(Centre for the Study of Manuscript Cultures)
Laufzeit: 2022 - 2027
The development of alphabetic scripts in the context of Christianisation in the early 5th century CE meant the beginning of literacy and was a decisive step towards independent statehood for three ethnic groups in the Caucasus: Armenians, Georgians, and the so-called ‘Caucasian Albanians’. Over the last 20 years, considerable progress has been made in the analysis of the oldest written materials of the three languages preserved in palimpsest form. In a novel interdisciplinary approach, the project combines investigations into palaeography, historical linguistics, codicology, and philology, addressing, e.g., the structure of the alphabets, manuscript types and their chronological development, and the emerging literary canons, in order to gain new light on the emergence of literacy in the southern Caucasus.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Die Schriftkultur des christlichen Äthiopien: Eine multimediale Forschungsumgebung"
Projektleitung: Prof. Dr. Alessandro Bausi
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik)
Laufzeit: 2016 - 2040
Das multidisziplinäre Vorhaben ist an der Schnittstelle zwischen Informatik, Afrikanistik, Semitistik sowie der Erforschung des Nahen und Christlichen Orients angesiedelt. Der Kernbereich des Projekts liegt in der engen Verknüpfung der Informatik mit der Orientalistik, hier zu verstehen als Philologie, Literatur- und Handschriftenforschung. Im Fokus befindet sich die Äthiopistik, die historisch-philologische Disziplin, die sich mit den Sprachen und der Kultur des äthiopisch-eritreischen Bereiches befasst.
Das historische Äthiopien (die heutigen Länder Äthiopien und Eritrea) liegt, kulturgeschichtlich gesehen, zugleich am Rande des Christlichen Orients und mitten in Afrika. Das äthiopische Hochland hatte bereits in der Antike als Gebiet hoher Schriftkultur Bedeutung. Seit der Zeitenwende wurden Inschriften in einer der loka-len semitischen Sprachen, Geʿez, verfasst. Als im 4. Jahrhundert das Christentum zur offiziellen Religion des aksumitischen Reiches erhoben wurde, kam der Geʿez-Schriftkultur durch die Bibelübersetzung und die kirchlich-liturgische Literatur prägende Funktion zu.
Die Produktivität der spätantiken und mittelalterlichen wie auch der jüngeren Schriftkultur des äthiopischen Raums ist außergewöhnlich hoch. Derzeit sind ca. 20.000 Handschriften (teilweise in Form von Mikrofilmen oder Digitalisaten) in den westlichen Sammlungen zugänglich, die eine weit geringere, mangels statistischer Erhebungen aber bisher noch nicht näher bestimmbare Zahl von Werken enthalten. Mindestens zehnmal so viele Handschriften harren bisher unerschlossen in Kirchen und Klöstern vor Ort.
Die Fülle an schriftlichen Quellen stellt eine besondere Herausforderung für die Äthiopistik dar. Nur ein sehr geringer Teil der Handschriften ist durch Kataloge erfasst, die sich in der methodologischen Sorgfalt stark voneinander unterscheiden. Ein umfassendes Repertorium zur äthiopischen Literatur, das auf Basis eingehender Handschriftenuntersuchungen methodologisch konsistent Texte und Werke verzeichnet, ist ein dringendes Desiderat.
Eine vielfältige multimediale Forschungsumgebung soll durch das Vorhaben ge-schaffen werden, in der unser Wissen über die äthiopische Handschriftenkultur strukturiert aufbereitet wird. Texte aus unterschiedlichen Zeitperioden und Regionen werden mit Hilfe einer relationalen Datenbankfunktionalität mit Informationen zu den Handschriften, den relevanten Persönlichkeiten sowie den Provenienzorten verbunden. Philologische, historische, literaturwissenschaftliche und kodikologische Daten werden so miteinander verbunden, dass gezielte Abfragen ermöglicht sowie komplexe Zusammenhänge offenbart werden, die zur Veranschaulichung auf einer IT-Arbeitsplattform dargestellt werden.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Formulae – Litterae – Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen Formulae inklusive der Erschließung von frühmittelalterlichen Briefen und Urkunden im Abendland (ca. 500 – ca. 1000)"
Projektleitung: Prof. Dr. Philippe Depreux
(Fachbereich Geschichte, Arbeitsbereich Mittelalterliche Geschichte)
Laufzeit: 2016 - 2031
Das Langzeitvorhaben „Formulae – Litterae – Chartae“ der Akademie der Wissen-schaften gehört zu insgesamt fünf Vorhaben, die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Herbst 2016 neu in das Akademienprogramm aufgenommen wurden, welches der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes dient. Das Projekt ist mit einem Gesamtfördervolumen von 4,4 Mio Euro für 15 Jahre bewilligt worden.
Ziel des Projekts ist die systematische Aufarbeitung und Edition frühmittelalterlicher Musterurkunden und -briefe (Formulae) sowie die Erforschung des formelhaften Schreibens in Westeuropa vor dem 11. Jahrhundert. Es ist an der Schnittstelle von Geschichte, lateinischer Philologie und Rechtsgeschichte verankert und untersucht eine für die Erforschung der frühmittelalterlichen Gesellschaft wichtige Quelle.
Die Formulae dokumentieren die Vielfalt des gelehrten Schreibens und sollen im Rahmen des Projekts Monumenta Germaniae Historica (MGH) kritisch ediert, kommentiert und mit Übersetzung publiziert werden. Sie enthalten unentbehrliche Informationen der Sozial-, Wirtschafts-, Kultur-, Rechts- und Mentalitätsgeschichte und sind ein Zeugnis des sprachlichen Wandels von der Spätantike zum Mittelalter.
Die frühmittelalterlichen Formulae sind meistens in Sammlungen überliefert, die in einer digitalen Edition zugänglich gemacht werden sollen. Erstmalig soll eine Datenbank samt e-Lexikon erstellt werden, die die Erforschung des formelhaften Schreibens im lateinischen Frühmittelalter und den Vergleich mit anderen Briefen und Urkunden aus derselben Zeit ermöglichen.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Langzeitvorhaben "Etymologika. Ordnung und Interpretation des Wissens in griechisch-byzantinischen Lexika bis in die Renaissance"
Projektleitung: Prof. Dr. Christian Brockmann
(Fachbereich Sprache, Literatur und Medien II, Institut für Griechische und Lateinische Philologie)
Laufzeit: 2020 - 2037
Das Langzeitvorhaben "Etymologika. Ordnung und Interpretation des Wissens in griechisch-byzantinischen Lexika bis in die Renaissance. Digitale Erschließung von Manuskriptproduktion, Nutzerkreisen und kulturellem Umfeld" der Akademie der Wissenschaften gehört zu insgesamt vier Vorhaben, die von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) im Dezember 2019 in das Akademienprogramm aufgenommen wurden. Das Projekt ist mit einem Gesamtfördervolumen von 6,8 Mio Euro für 18 Jahre bewilligt worden.
Ziel des Langzeitvorhabens ist die Erforschung der griechischen etymologischen Wörterbücher („Etymologika“), einer der bedeutendsten Leistungen antiker und mittelalterlicher Wissensgeschichte in Europa. Diese Lexika wurden bis in die Renaissance und die frühe Neuzeit hinein produziert, genutzt und erweitert. Ihr Name bezieht sich auf die antiken philosophischen und grammatikalischen Auseinandersetzungen mit der Sprache auf der Suche nach dem étymon, d.h. der ‚wahren Bedeutung‘ und der Essenz eines Wortes. Das in den Etymologika gespeicherte Wissen ist ein wichtiger, bisher unzureichend erforschter Teil des literarischen und sprachwissenschaftlichen Erbes der griechischen Kultur.
Im Vordergrund des Projekts steht die erste vollständige kritische Edition des wirkmächtigen „Etymologicum Gudianum“ (Ende des 10. Jh.) mit Übersetzung und Kommentierung. Geplant sind sowohl eine gedruckte Ausgabe als auch umfangreiche Online-Ressourcen, um die Arbeitsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Zugleich wird die reiche Produktion und Nutzung der Manuskripte mit ihren mehrschichtigen Text- und Bearbeitungsstufen detailliert untersucht werden: Dadurch wird es möglich, das kulturelle Umfeld ihrer Herstellung und Verbreitung sowie den Sitz im Leben der Manuskripte als Wissensträger und -vermittler zu bestimmen.
BMBF – Förderprogramm 'Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen': "Kolorierte Landkarten"
Projektleitung: Prof. Dr. Oliver Hahn (Fachbereich Kulturwissenschaften, Kunstgeschichtliches Seminar), Prof. Dr. Jochen Schlüter (Mineralogisches Museum, CeNak), Dr. Susanne Knödel (Museum für Völkerkunde Hamburg), Kathrin Enzel (Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv)
Laufzeit: 2018 - 2021
Das Verbundprojekt "Kolorierte Landkarten" der Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv, des Museums für Völkerkunde und der Universität Hamburg, vertreten durch das Centre for the Study of Manuscript Cultures, das Mineralogische Museum und das Centrum für Naturkunde (CeNak), widmet sich der kunsttechnologischen, kunst- und kulturhistorischen Untersuchung einer Auswahl von handgezeichneten Landkarten und handkolorierten Drucken aus dem europäischen und ostasiatischen Raum, produziert zwischen dem 15. und 20. Jahrhundert. Betrachtet werden Objekte aus den Beständen der beteiligten Institutionen in Hamburg sowie im Rahmen von Vergleichsstudien aus Beständen im europäischen Ausland und China. Die Untersuchung von Kolorierungen und Farbmitteln wirft dabei eine Reihe bislang wenig beachteter Forschungsfragen auf, wie z. B. nach der Herkunft, Zusammensetzung und Verarbeitung von Pigmenten, nach regionalspezifischen Verwendungen, drucktechnischen Spezifika, Tradition, Innovation und Handel. Ziel ist es, durch exemplarische synchrone und diachrone Untersuchungen Farbmittel, Kolorierungen und Kolorierungstechniken in Karten der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert zu erfassen und einzuordnen. Beachtung finden dabei auch Produzenten und Rezipienten von Karten und Atlanten, deren technologische Kenntnisse und Informationsbedürfnisse, und schließlich zeitgenössische ästhetische Anforderungen, welche die Karten prägten. Mit diesem langen Zeitschnitt soll ein umfassender Bestand an Vergleichsdaten gewonnen werden. Mit der engen Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaftlern aus Geschichte, Kunstgeschichte und Materialwissenschaft strebt der Verbund an, ein historisch und analytisch möglichst umfangreiches Bild kolorierter Karten zu erstellen sowie Methoden zur Restaurierung und Archivierung zu erweitern und zu spezifizieren.
Das Teilprojekt "Materialwissenschaftliche Analysen" der UHH untersucht ausgewählte Landkarten und Atlanten mit hauptsächlich nicht-invasiven Methoden. Nach der Klassifizierung der Zeichenmaterialien durch die Multispektralanalyse wird mittels Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) die elementare Zusammensetzung der anorganischen Farbmittel bestimmt. Anhand wechselnder Haupt-, Neben- und Spurenelemente lassen sich Pigmente differenzieren und möglicherweise auch mineralische Provenienzen lokalisieren oder Herstellungstechniken nachvollziehen. Die chemische Analyse dient im Wesentlichen der Untersuchung von organischen Farbmitteln und mineralischer Phasen. Für weiterführende Untersuchungen stehen minimal-invasive Analysemethoden zur Verfügung, die für Struktur- bzw. Elementanalysen lediglich Materialpartikel im Größenbereich von wenigen Mikrometern benötigen, dadurch jedoch detaillierte Einblicke in den Mikrokosmos der verwendeten Materialien erlauben.

DFG – Langfristvorhaben "Afrikanische Stimmen in islamischen Manuskripten aus Mali: Erschließung und Erforschung afrikanischer Sprachen in arabischer Schrift (Ajami)"
Projektleitung: Dr. Dmitry Bondarev
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. für Afrikanistik und Äthiopistik)
Laufzeit: 2017 - 2029
In arabischer Schrift geschriebene afrikanische Sprachen (Ajami) stellen ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld der Afrikanistik dar. Bisher ist nur unzureichend untersucht worden, welche Rolle die regionalen Sprachen in den islamischen Manuskripten spielten, die in den komplexen vielsprachigen und multiethnischen Gemeinschaften in Westafrika angefertigt wurden. Um diese Lücken in unserem Verständnis der afrikanischen Sprachen und Kulturen zu schließen, wird dieses Projekt in einem groß angelegten Forschungsvorhaben die Sammlungen der Ajami-Manuskripte aus Timbuktu, die nach Bamako in Sicherheit gebracht wurden, und andere Sammlungen aus den Bibliotheken Malis systematisch erforschen. Die Hauptziele des Projekts sind:
1. Katalogisierung und Tiefenerschließung einer großen, repräsentativen Anzahl von Ajami-Manuskripten,
2. historische und linguistische Untersuchung des erschlossenen Materials, und
3. Schaffung von Grundlagen für die interdisziplinäre Ajami-Forschung.
Diese Aufgaben werden von einem Team von Wissenschaftlern übernommen, wobei eine Gruppe in Deutschland und eine in Mali arbeitet. Das Forschungsprojekt, das auf zwölf Jahre angelegt ist, wird in enger Zusammenarbeit mit internationalen Spezialisten durchgeführt. Die Ergebnisse des Projekts werden für viele Forschungsgebiete von Bedeutung sein, z.B. für die Geschichte des subsaharischen Afrika, die islamische Geistesgeschichte, Anthropologie, Soziolinguistik sowie für die vergleichende Manuskriptwissenschaft.
DFG – Emmy Noether-Nachwuchsgruppe "Die Entwicklung islamischer Gesellschaften (ca. 600–1600): algorithmische Analyse zur Sozialgeschichte"
Projektleitung: Dr. Maxim Romanov
(Fachbereich Asien-Afrika-Wissenschaften, Abt. Vorderer Orient)
Laufzeit: 2021 - 2027
Im ersten Jahrtausend ihrer Geschichte (ca. 600–1600 n. Chr.) entwickelte sich die islamische Gesellschaft von einem einfachen Stammeswesen zu einem facettenreichen sozialen, kulturellen und politischen Gebilde, das sich von Spanien und Nordafrika bis Zentralasien und Indien erstreckte. Arabische Chroniken und biographische Sammlungen bewahren eine Fülle von Informationen über langfristige umweltbedingte und gesellschaftliche Prozesse, die die islamische Gesellschaft im Laufe dieser Zeit geprägt haben. Diese zahlreichen und umfangreichen Texte bilden eine sehr reichhaltige „Fundgrube“ von Informationen über die Zeit vor dem 15. Jahrhundert, für die es nur sehr wenige Dokumente und Archive gibt. Das Emmy-Noether-Projekt (ENP) wird in einer innovative Studie über "Die Evolution islamischer Gesellschaften (ca. 600-1600 n. Chr.)" diese historischen Texte, die erstmals ganzheitlich als ein einheitliches Korpus historischer Informationen behandelt werden (ca. 300 Titel, 100 Mio. Wörter; ca. 400.000 biographische Aufzeichnungen), algorithmisch untersuchen. Das Team des ENP, bestehend aus dem PI und zwei DoktorandInnen, wird in drei eng verbundenen Teilprojekten langfristige historische Trends identifizieren und analysieren.
Das erste Teilprojekt wird ethnische, religiöse und berufliche Gruppen darauf untersuchen, wie sie die Entwicklung der lokalen Gemeinschaften geprägt und zu dem verschmolzen haben, was wir die „islamische Welt“ nennen. Das zweite erforscht dynastische Zyklen an Hand des Aufstiegs und Falls regionaler Mächte, ihrer Konflikte und Interaktionen. Das dritte Teilprojekt wird Umweltfaktoren—Plagen, Hungersnöte, Dürren, Schädlingsbefall, Erdbeben und Klimawandel—und deren Auswirkungen auf das Leben der lokalen Gemeinschaften analysieren.
Alle Teilprojekte ergänzen sich gegenseitig und bilden die Grundlage für eine Synthese der Entwicklung der islamischen Welt in diesem Zeitraum durch den PI. Bedingt durch Umfang und Komplexität des Materials, wird das ENP eine Reihe von digitalen Textanalyse- und Modellierungsmethoden einsetzen, die in den letzten Jahren in den digitalen Geisteswissenschaften entwickelt wurden, um die mittelalterlichen arabischen historischen Quellen effektiv und reproduzierbar zu analysieren. Der vorgeschlagene methodische Ansatz ist der Schlüssel zur Entdeckung, Bewertung und Modellierung aller relevanten Textnachweise in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.
Einzelprojekte
Anisong-Manuskripte aus Luang Prabang in vergleichender Perspektive (DFG)
Prof. Dr. Volker Grabowsky, Thaiistik
Laufzeit: 2020 - 2023
Annotierte Manuskripte aus Westafrika: Wandel und Beständigkeit (DFG)
Dr. Dmitry Bondarev, Afrikanistik
Laufzeit: 2020 - 2023
Das Ende einer Manuskriptkultur? Die türkische Schriftreform und das Alevitentum (DFG)
Prof. Dr. Raoul Motika, Turkologie
Laufzeit: 2020 - 2023
Die Epistula ad Ammaeum II des Dionysios von Halikarnass: Einleitung, kritische Edition, Übersetzung und Kommentar (DFG)
Alessandra Palla, Gräzistik
Laufzeit: 2019 - 2022
Digital Repository of endangered and affected manuscripts In Southeast Asia (DREAM-SEA) (Arcadia Fund)
Prof. Dr. Jan van der Putten, Austronesistik
Laufzeit: 2017 - 2022
Ein frühbyzantinisches Gnomologienkorpus (DEI & ΑΠΜ): Edition, Übersetzung, Kommentar (DFG)
Dr. Jens Gerlach, Gräzistik
Laufzeit: 2019 - 2022
Ritual, Ästhetik und Handschrift: Gemeinschaftliches Dichten im gegenwär-tigen Japan (DFG)
Prof. Dr. Jörg B. Quenzer, Japanologie
Laufzeit: 2020 - 2023
Wissenschaft und Naturphilosophie in der byzantinischen Welt: Das Physik-Lehrbuch des Nikephoros Blemmydes (DFG)
Dr. Stefano Valente, Gräzistik
Laufzeit: 2013 - 2024